Der letzte Flug von Waldkauz JC 46921




Außergewöhnliche Geschichte eines beringten Waldkauzes
Die schönsten Geschichten schreibt immer das Leben selbst. Aber dieses Leben kann auch unglaublich tragisch sein, insbesondere für Lebewesen, die sich ihren Lebensraum mit uns Menschen teilen.
Die Geschichte beginnt im Juni 2021. An einem Nachmittag entdeckt Familie Schreiner aus Einstorf zufällig einen Waldkauz, der sich in einer über die Vils gespannten Angelschnur verfangen hat. Waldkäuze sind nachtaktiv, deshalb befand sich der Vogel vermutlich schon Stunden in dieser prekären Lage. Knapp über der Wasseroberfläche hängend, kämpfte er bis zur völligen Erschöpfung um sein Leben. Aber er hatte Glück. Familie Schreiner konnte den Vogel zusammen mit dem Landauer Greifvogelspezialisten Dieter Aichner aus seiner misslichen Lage befreien.
„Die Flügel sahen schlimm aus“, so Aichner. Viele Federn waren gebrochen oder beschädigt und der Vogel war nicht mehr flugfähig. Der Waldkauz konnte also nicht sofort freigelassen werden. In der Obhut von Dieter Aichner erholte er sich relativ schnell von den Strapazen und entwickelte einen guten Appetit.
Durch das Verheddern in der Angelschnur waren aber sehr viele Federn beschädigt. Das Jagen war für den Nachtgreif also nicht mehr möglich. Eine Lösung war das Schiften der Federn. Dabei werden beschädigte Federn abgeschnitten und auf den Federrest mit Hilfe eines passenden Balsaholzstückchens frische Schwungfedern aufgesetzt. „Eulen müssen nachts absolut lautlos fliegen können um erfolgreich zu jagen. Da muss jede Feder passen“, so Aichner. Die Methode des Schiftens stammt aus der Falknerei, weshalb zunächst fraglich war, ob es auch bei einer Eule funktioniert. Denn bei einer Auswilderung kann man nicht kontrollieren, wie das Tier mit den geschifteten Federn zurechtkommt.
Das Schiften beherrschen nur wenige Profis. Diese Arbeit wurde von Willi Holzer, dem Leiter der Greifvogelauffangstation Freising, vorgenommen. Sorgfältig wurde das Federkleid gerichtet und die Flugfähigkeit des Vogels getestet. Kurz vor Entlassung in die freie Wildbahn wurde die Eule in der Greifvogelauffangstation von Willi Holzer noch beringt. Der Ring der Vogelwarte Radolfszell hatte die Nummer JC 46921. Am 17. Juni 2021 wurde die Eule in der Nähe des Unglücksortes wieder freigelassen. Ohne Probleme flog der Waldkauz damals in sein ihm geschenktes zweites Leben.
Vier Jahre später, Juni 2025. Nachts in Einstorf. Daniela Hartl bemerkt auf dem Nachhauseweg, dass etwas auf der Straße liegt. Zunächst dachte sie an eine Katze, aber dann sah sie, dass es sich um eine Eule handelte. Offensichtlich war der Kauz verletzt und auf der Jagd mit einem Auto kollidiert. Sie wickelte kurzentschlossen den schwerverletzten Vogel in ihre Jacke und telefonierte umgehend mit Michaela Huber von der Wildvogelhilfe Piepmatz aus Rengersdorf. Diese übernahm die Erstversorgung des Vogels. Die später von einer auf Vogelheilkunde spezialisierten Tierärztin vorgenommene Untersuchung bestätigte die schlimme Vermutung. Das Röntgenbild ergab einen Splitterbruch des Beckens. Außerdem wurden schwere innere Verletzungen und Einblutungen in die Augen festgestellt. Der schon apathische Waldkauz war leider nicht mehr zu retten und musste eingeschläfert werden. Die mordende Straße hatte wieder ein Opfer gefunden.
Aufgrund des Ringes konnte ermittelt werden, dass es sich bei der verletzten Eule um den im Jahr 2021 in Einstorf in die freie Wildbahn entlassenen gesundgepflegten Waldkauz mit der Ringnummer JC 46921 gehandelt hat. Leider hatte er diesmal nicht mehr so viel Glück. 400 Meter von seinem ersten Unfallort fand er jetzt den Tod. Das Schiften der Federn durch Willi Holzer war 2021 offensichtlich sehr erfolgreich, der Waldkauz konnte weitere vier Jahre Mäuse fangen und Junge großziehen. Besonders bemerkenswert ist aber, dass es Menschen wie Familie Schreiner, Daniela Hartl und Michaela Huber gibt, die nicht wegschauen, sondern sich verletzter hilfsbedürftiger Tiere annehmen.
Der Waldkauz ist im Winter auf Brautschau

Im Januar scheint die Natur eingefroren zu sein. Um bei dem knappen Nahrungsangebot nicht zu viel Energie zu verbrauchen, sind die meisten unserer heimischen Vögel zur Zeit nur wenig aktiv. Anders der Waldkauz. Trotz niedriger Temperaturen ist er jetzt auf Brautschau. Wer zur Zeit noch spät nachts unterwegs ist, kann seinen schauerlichen Balzgesang hören. Da auch naturnahe Friedhöfe zum Lebensraum des Waldkauzes gehören, wurde er zum Totenvogel abgestempelt. Sein "Kuwitt-Ruf" klang schreckhaften Seelen wie "komm mit" - ins Totenreich.
Mit den Eulen verbinden viele Menschen etwas Gruseliges. Die fälschlicherweise entstandene Bezeichnung Raubvogel tat ein übriges, um die Mystizität dieser nützlichen Vögel zu steigern. Eulen wie zum Beispiel der Waldkauz haben einen großen Anteil an der Verfolgung von Mäusen und anderen unliebsamen Konkurrenten des Menschen und sind deshalb äußerst nützlich.
Der Waldkauz ist etwa 40 cm groß. Seine Flügelspannweite reicht bis 100 cm.
Das rostbraune bis rindengraue Gefieder paßt sich hervorragend demLebensraum des Waldkauzes an. Für ungeübte Augen ist er aufgrund seiner Tarnfarbe am Tag an seinem Ruheplatz nur sehr schwer zu erkennen.
An seine Brutstätte stellt der Waldkauz keine besonderen Ansprüche.Er nistet in Baumhöhlen, Felsnischen, auf Turmgebälk, in Scheunen oder auf zugänglichen Dachböden. Er nimmt auch gerne verlassene Horste größerer Vögel (Elstern, Rabenkrähen) und Nistkästen mit einem größeren Flugloch an. Die Fortpflanzungszeit beginnt im tiefen Winter. Dabei ist der Paarungsruf, ein pfeifendes Huu, hu-hu-hu-huuuh,weithin vernehmbar. Weiter gestaltet sich die Balz mit Flügelklatschen und Schnabelklappern.
Im April legt das Weibchen drei bis vier fast runde Eier. Nach 28 Tagen schlüpft das erste Junge, die anderen genau im Abstand von zwei bis drei Tagen.
Nach vier bis fünf Wochen Nestlingszeit verlassen die Jungen ihre Höhle, sind aber noch nicht flugfähig und werden von den Altvögeln weitergefüttert.
Aufgrund seiner Anpassungsfähigkeit ist der Waldkauz in der Lage, auch in unmittelbarer Nähe des Menschen erfolgreich seinen Nachwuchs großzuziehen.Zudem hat er von allen Eulen den abwechslungsreichsten Speisezettel: er nimmt Kleinsäuger, Vögel, Fische, Lurche, zahlreiche Insekten und gelegentlich auch Schnecken und Regenwürmer. Aus diesen Gründen ist sein Bestand derzeit nicht gefährdet. In Deutschland ist er neben der Waldohreule die häufigste Eulenart.